Die Mythologie der Griechen

Mercedes Bustamante

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Mythologische Überlieferungen über die Geburt des Kretischen Zeus

Die Griechen verlegen in ihren Mythen die Geburt ihres obersten Unsterblichen, Zeus, nach Kreta. Nach dieser Sage nahm Kronos, der Nachkomme der ersten göttlichen Dynastie, der Sohn von Uranos (Himmel) und Gaia (Erde), seine Schwester Rhea zur Frau. Kronos war von seinem Vater gewarnt worden, daß ihn eines seiner Kinder entthronen würde. Angesichts dieser Gefahr und weil er die Macht mehr als seine Kinder liebte, entschied er sich, diese zu opfern, um selbst der einzige Herr und Herrscher des Universums zu bleiben. Um dieses zu erreichen und seinem Thron grössere Stärke zu verleihen, verschlang er die kinder, die Rhea ihm gebar: zuerst Hestia, seine Erstgeborene, dann Demeter, Hera, Hades und Poseidon. In das tägliche Unglück, die Verzweiflung und die Tränen hinein kam der Rat des Vaters Uranos, der ebenfalls ein Opfer von Kronos geworden war. Uranos riet Rhea, nach Kreta zu gehen und ihr Kind mit der Hilfe ihrer Mutter Gaia sicher zur Welt zu bringen.

Die legende besagt, daß die verzweifelte Rhea auf dem heiligen Berg Dikti Zuflucht und Schutz fand. Zeus wurde von den Töchtern des Melisseus erzogen, die das göttliche Kind mit Honig der Bienen Melissai und Milch der Zeige Amaltheia speisten. Zeus wuchs auf Kreta auf und wurde, zum Manne herangereift, mit Rheas Hilfe Mundschenk seines Vaters. Diesem gab er einen Mischtrunk nach Art eines Brechmittels, worauf Kronos seine verschlungenen Kinder erbrach. Glücklich über ihre Rettung, machten die Geschwister ihren Bruder Zeus zu ihrem Anführer; bald bestieg er den Götterthron und wurde Herr im Olymp.

Aber nicht nur Zeus´ Geburt, sondern ungeheuerlicherweise auch der Tod des Unsterblichen ist mit Kreta verbunden. Die Erklärung der Kreter, daß das Zeus-Grab auf Kreta wäre, brachte ihnen den Ruf "Lügner" zu sein. Sie wurden auch respektlos bezeichnet, weil das, an was sie glaubten, nicht in Übereinstimmung mit dem war, was die restlichen Griechen glaubten. Auf dem Berge Juchtas, nördlich von Iraklion, sei sein Grab, glaubten die Kreter, wo er jedes Jahr bestattet und dann unter blitzendem Feuer wiedergeboren werde.

Es gibt Gründe anzunehmen, daß neben der großen Muttergottheit der wichtigste männliche Gott der minoischen Zeit ein sterblicher Vegetationsgott war, der alljährlich im Frühjahr mit der Göttin vereint und im Herbst geopfert wurde. Dieser minoische Gott verkörperte also mit seinem Sterben und Wiederaufblühen den jahreszeitlichen Zyklus der Werdens und Vergehens der Pflanzen. Demnach hätten vielleicht die Griechen durchaus noch der alten minoischen Vorstellung Rechnung getragen, indem sie Geburt und Heranwachsen ihres Himmelsgottes Zeus nach Kreta verlegten, die ihnen fremde, ja blasphemisch erscheinende Auffassung von einem Sterben des Gottes, an die offenbar die Kreter noch glaubten, aber empört als Lüge zurückgewiesen.

Auch der Name des Kontinents entstammt dem Mythos, der von Zeus als dem Vater der ersten Europäer berichtet: Als junger Mann verliebte sich Zeus in die schöne Europa, Tochter des Königs Agenor von Phönizien. Als die Königstochter mit ihren Freundinnen an der Küste der Meeres spielte, nahte sich Zeus ihr in Gestalt eines Stieres. Fasziniert von dessen Schönheit und Kraft, streichelte Europa das Tier und setzte sich schließlich auf seinen Rücken. Kaum, daß das Mädchen aufgesessen war,sprang Zeus auf und entführte es nach Kreta. Am Strand von Matala verwandelte sich Zeus in einen Adler, flog mit Europa nach Gortys, tat ihr dort Gewalt an und zeugte ihr Minos, Rhadamanthys und Sarpedon, das berühmte Herrschergeschlecht der Minoer. Die Platane, unter der dies geschah, verlor fortan das ganze Jahr hindurch nicht mehr ihre Blätter.

Zu Männern herangereift, teilten sich die drei Brüder die Insel Kreta und machten Knossos zu ihrer Hauptstadt. König des Reiches wurde Minos, schon bald wegen seiner großen Gerechtigkeit hochgeschätzt und später zusammen mit Rhadamanthys Totenrichter im Hades.

Der Minotaurus

Als König über Kreta erbat sich Minos von den Göttern eine Bestätigung seiner Macht und errichtete Poseidon einen Altar. Dieser sandte ihm einen prächtigen weißen Stier, den Minos den Göttern opfern sollte. Verblendet durch die Schönheit des Tieres, ließ er es aber zu seiner eigenen Herde und opferte an seiner Stelle einen anderen Stier. Diesen Frevel bestrafte der Gott, indem er es fügte, daß Pasiphae, Minos´ Gemahlin, in brennende Liebe zu dem göttlichen Stier verfiel und ihn körperlich Begehrte. Sie offenbarte sich Daidalos, dem großen Baumeister und Erfinder. Er versprach ihr zu helfen, konstruierte eine hölzerne, hohle Kuh, die er mit einer Kuhhaut überspannte, in der versteckt Pasiphae dem Stier Poseidons sich nähern konnte. Daidalos brachte die hölzerne Kuh zur Herde, woraufhin sich der Stier mit Pasiphae vereinte und den Minotaurus zeugte, ein Wesen mit einem Stierkopf und der Gestalt eines Menschen. entsetzt über dieses Geschöpf, versteckte Minos es in einem Labyrinth nahe bei Knossos, das er eigens von Daidalos erbauen ließ. Auch den Daidalos sperrte er in diesem Labyrinth ein. Doch der geniale Erfinder konnte mit Hilfe von Flügeln fliehen. Nachdem bei der Flucht sein Sohn Ikaros zu Tode gekommen war, verbarg sich Daidalos bei König Kokalos auf Sizilien.

Das Wort labyrinth ist abgeleitet von "labrys", einem vor-griechischen Wort mit der Bedeutung "Doppelaxt". Doppeläxte gab es in allen minoischen Palästen, aus Gold und anderen Materialien, es waren wichtige Kultobjekte der Minoer; ebenfalls ist die Doppelaxt als Steinmetzzeichen des minoischen Palastes von Knossos bekannt; mithin war das "Labyrinth" das "Haus der Doppelaxt".

Ein anderer Mythos erzählt von der Befreiung Athens aus der Abhängigkeit von Kreta: Bei einem sportlichen Wettkampf kam Androgeos,. Sohn des Minos und der Pasiphae, in Athen ums Leben. Aus Rache forderte Minos daraufhin alle neun Jahre sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen von den Athenern, die er dem Minotaurus zum Fraß vorwarf. Als die Zeit des Tributs abermals nahte, stellte sich Prinz Theseus freiwillig als Geisel zur Verfügung, um den Minotaurus zu töten. Mit seinen Eltern sprach er ab, bei seiner Rückkehr als Signal des Erfolgs eine weiße Segel aufzuziehen, bei einem Mißerfolg dagegen würde er das schwarze belassen, das sie eben zum Zeichen der Trauer gesetzt hatten. Theseus lernte Minos´ Tochter Ariadne kennen und verliebte sich in sie. Er vertraute ihr an, ihren Halbbruder Minotaurus töten zu wollen. Ariadne versprach Theseus Hilfe, wenn er sie als seine Frau nach Athen mitnähme. Freudig willigte er ein, worauf ihm Ariadne das magische Wollknäuel des Daidalos gab, mit dem er jederzeit wieder aus dem Labyrinth herausfinden konnte.

Mit Hilfe der Götter gelang es Theseus, den Minotaurus zu besiegen, den er dem Poseidon opferte. Der Gott versprach ihm dafür eine günstige Rückfahrt. Unversehrt führte er Ariadne und seine Freunde zu seinem Schiff zurück, mit dem alle unbemerkt von Kreta entfliehen konnten. Auf Naxos machten sie ihre erste Rast. Nachts erschienen Theseus im Traume Götter und befahlen ihm, Ariadne auf Naxos zurückzulassen, da sie bereits dem Dionysos versprochen sei. Am nächsten Morgen brach Theseus heimlich mit seinem Gefolge auf und ließ Ariadne zurück.

Darüber aber vergaßen Theseus und die Besatzung, das weiße Segel zu setzen. Als Theseus´ Vater Ägeus das Schiff mit dem schwarzen Segel in der Ferne erkannte, stürzte er sich in Verzweiflung über den tot geglaubten Sohn ins Meer, das nach ihm das "Ägäische" genannt wird.

Der Theseus-Mythos läßt sich lesen als mythische Erinnerung an die Befreiung der Griechen von der minoischen Herrschaft - tatsächlich hat eine solche Vorherrschaft Kretas jahrhundertelang bestanden; und es ist auch erwiesen, daß es den mykenischen Griechen erfolgreich gelang, sich gegen Kretas Vorrangstellung aufzulehnen.



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Oktober 2002
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